Der FC Bayern nach dem Derby
Schöne Grüße nach Giesing   (sueddeutsche.de vom 24.November 2003)

Nach dem glücklichen Derbysieg tritt der FC Bayern mit dem Bekenntnis zum Stilwechsel in Glasgow an.
          

Es hat diese Saison eine Zeit gegeben, in der Claudio Pizarro seine Bewunderer verzückte mit Eleganz und vor allem mit einer Zielstrebigkeit, die man ihm nicht mehr zugetraut hatte. Der peruanische Angreifer dribbelte und rannte und kämpfte hingebungsvoll, und nebenbei glückten ihm in den ersten vier Spielen vier Tore. Der FC Bayern hatte in dieser Zeit sehr viel Freude an ihm.

Diesen Samstag hat Claudio Pizarro immerhin dafür gesorgt, dass die Besucher des 198. Münchner Derbys für einen Moment die Grausamkeit dieses schaurig anzuschauenden Duells vergaßen. Kurz vor dem Abpfiff erhielt er, gerade erst eingewechselt, auf dem linken Flügel den Ball; eine gute Konterchance, und zu Saisonbeginn hätte sich Pizarro mutig der Abwehrlinie genähert (zumal ihm diesmal der gefürchtet ungelenke Verteidiger Hoffmann gegenüberstand). Doch Pizarro brach den Angriff ab, er wartete auf Nachzügler in roten Trikots, und dann passte er den Ball über 30 Meter zurück an die Mittellinie  in die Füße des Löwen-Profis Stranzl. Die Menschen im Olympiastadion lachten über Pizarro.

Man muss Pizarros Antriebsarmut natürlich verstehen, erst am Freitag war er von der Länderspielreise aus Ekuador zurückgekehrt. Er ist sehr müde gewesen. Doch irgendwie waren das alle Bayern-Spieler beim glücklichen 1:0 (1:0) über die Löwen, abgesehen vielleicht von Torhüter Oliver Kahn, der derart konzentriert auf Gefahren lauerte, dass ihm der Platzverweis des Sechzigers Görlitz (siehe Meldung) durchging. Ich habe nur unsere Rote gesehen und dachte die ganze Zeit, wir spielen zehn gegen elf", berichtete Kahn später amüsiert, wahrscheinlich war ich deshalb nach dem Spiel so zufrieden." In der Tat eine optische Täuschung, denn die Bayern lieferten einen beklagenswerten Gesamteindruck, der den Löwen-Boss Wildmoser senior zur vorauseilenden Kondolenznote bewog. Der Nachbar sei gegen seine tapferen Jungs zunehmend in Panik verfallen", urteilte er, und mit so einer Leistung werde er leider Gottes am Dienstag bei Celtic Glasgow sauber aus dem Stadion hinausgehauen, denn denen sind doch hier klar die Grenzen aufgezeigt worden, und im Fitnessbereich sind sie nicht so gut drauf". Das alles sagte Wildmoser, der seinen Barockkörper mit morgendlichen Schwimmübungen daheim im Pool in Schuss zu halten versucht.

Schönen Gruß aus München-Giesing.

Dass sich die Mannschaft nicht in physischer Bestverfassung befinde, hatte unlängst bereits Bayern-Vorstand Rummenigge moniert. Nach dem zerfahrenen Derby lässt sich der gravierende Vorwurf nicht seriös belegen, denn zumindest kämpferisch brauchte sich der Favorit nichts vorwerfen lassen. Wahrscheinlicher ist ohnehin, dass die Mängel andere Gründe haben. Vor allem das Problem im Mittelfeld bleibt ungelöst. Der Mannschaftsteil präsentiert sich nicht nur häufig unsortiert und durchlässig, sondern ist zudem (in Abwesenheit der Dauerpatienten Deisler, Scholl sowie Zé Roberto) in der Vorwärtsbewegung allzu abhängig von der Tagesform der Leitfigur Ballack. Am Samstag war sie miserabel, und wenn Trainer Ottmar Hitzfeld die vielen Ballverluste" und das Misslingen selbst der einfachsten Pässe" beklagte, wird er in seiner einstündigen Sonntagsandacht nicht nur Santa Cruz, Hargreaves und Salihamidzic erwähnt haben, sondern auch den Fußballer des Jahres.

Tatsache ist allerdings auch, dass den Bayern ihr hässlicher Auftritt ziemlich egal gewesen ist. Sie haben ja gewonnen. Und nichts anderes zähle vor der Partie in Schottland, in der es um den Verbleib an der Geldquelle Champions League geht, um die Reputation des Teams und womöglich auch um die mittelfristige Zukunft des Trainers. Bixente Lizarazu nennt den Showdown bei Celtic (Samstag 5:1 bei Dundee United, der zwölfte Sieg in Serie) das vielleicht wichtigste Spiel des Jahres"  und die Münchner Stadtmeisterschaft eine gute Vorbereitung, denn das war ein Match mit viel Zweikampf". Der französische Weltmeister sagte das alles in Englisch, nur das Wort Zweikampf" sprach er deutsch aus  es ist bei den Bayern fraglos als Kurzformel für den Lösungsansatz ausgegeben worden, mit dem man in der Not der spielerischen Krise begegnen möchte. Lizarazu sagt: Der Stil des FC Bayern ist Gewinnen  egal, wie es aussieht."

Am Samstag haben die Bayern demnach ein Bekenntnis zum Pragmatismus ablegt. Auch Hitzfeld tat das, als er zwar die Leistung kritisierte (leidenschaftslos, pomadig", müssen uns in Glasgow 50 Prozent steigern")  und seinen Spielern das 90-minütige Versagen dennoch dezent verzieh. Er erzählte etwas von fehlender Konzentration", die allerdings nur zu verständlich sei, denn für die Löwen war das einfach, für sie war es das beste Spiel des Jahres  wir haben andere Aufgaben im Hinterkopf". Er meinte Glasgow. Schönen Gruß nach Giesing.

Vor allem dem Vorsteher der Abwehr ist die Rückkehr zum alten Bayern-Stil sehr recht. Er hatte sie schon mehrfach empfohlen. Denn Oliver Kahn wird es ja regelmäßig speiübel, wenn er von der Forderung hört, der Rekordmeister müsse stets ein Spektakel aufführen. Spektakel ist Blödsinn", sagte er am Samstagabend, unsere Philosophie beruht auf Einsatzbereitschaft, damit hat der FC Bayern zehn Jahre lang Erfolg gehabt."

Montagfrüh fliegt der Meister nach Glasgow. Er darf im Celtic Park nicht verlieren. Wenn man erneut so schlecht spiele und 1:0 gewinne, sei das großartig", hat Bixente Lizarazu gesagt. Claudio Pizarro spielt diesmal vermutlich von Anfang an.

Andreas Burkert