Ailton: "Es werden Tränen fließen" (Kreiszeitung vom 2.April 2004)
Abschied von Werder rückt langsam immer näher / "Es waren Jahre der Emotionen"/ Große Ziele
Von Arne Flügge
Ailton steht auf dem Rasen des Weserstadions, blickt auf die leeren Ränge um sich herum und sagt schmunzelnd: "Hier bin ich der Boss, das ist mein Zuhause." Eigentlich will "Toni" über seinen Traum von der Meisterschaft und der Torjägerkanone sowie seinen Zweikampf mit Superstar und Landsmann Ronaldo um den Titel "Europas Torschützenkönig" sprechen. Doch plötzlich übermannen Ailton die Emotionen. "Manchmal", sagt "Toni", während er sich durch seine kurzgeschorenen Haare streicht, "manchmal frag' ich mich wirklich, ob das alles wahr ist". Ailton spielt die erfolgreichste Saison seines Lebens. Er kann mit Werder Meister und Pokalsieger werden, zudem Torschützenkönig der Bundesliga und bester Torjäger Europas. Zwar sei es noch ein weiter Weg, die Ziele zu erreichen, "doch wenn ich es geschafft habe, bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Dann würde ich am liebsten für immer in Bremen bleiben", schwärmt der Torjäger. Dies freilich hat er sich selbst verbaut. In einem Moment, in dem er nicht an seine Gefühle, sondern vielmehr an die vielen Millionen Euro gedacht hat, unterschrieb Ailton einen Vertrag bei Schalke 04. Viermal wird Werders Stürmer aber noch in seinem Wohnzimmer auflaufen, ehe er im Sommer nach Gelsenkirchen geht. "Zumindest werde ich Werder nie vergessen", sagt er. Das klingt nach Abschiedsschmerz. "Ein wenig vielleicht", zuckt Ailton mit den Schultern: "Die Leute in Bremen werden mich sicher nicht vergessen. Und ich sie sowieso nicht. Es ist unglaublich, welche Liebe mir die Fans hier entgegenbringen." Dennoch hat Ailton seine Entscheidung, künftig für Schalke zu spielen, nicht bereut: "Ich stehe dazu. Schalke ist auch ein toller Club." Sein Herz aber werde immer an Werder hängen, beteuert er, und bei seinem letzten Auftritt im Weserstadion am 15. Mai gegen Bayer Leverkusen "werden Tränen fließen. Die kann ich bestimmt nicht zurückhalten. Aber darüber möchte ich jetzt noch nicht nachdenken." Und er tut es im nächsten Moment doch: "Ich hatte schöne Zeiten in Bremen und ich hatte ganz schwierige. Es waren sieben Jahre voller Emotionen. Am Anfang wäre ich am liebsten sofort wieder in meine Heimat nach Brasilien gefahren, jetzt kann ich die größten Erfolge meines Lebens feiern. Nach so einer bewegten Zeit sind Abschiedstränen nicht zu vermeiden", vermutet der Top-Stürmer. Fast scheint es so, als wäre ein Glänzen in den Augen Ailtons zu sehen. Doch was soll man glauben? Schon häufig hat sich der Brasilianer als emotionaler Verwandlungskünstler gezeigt. Mal ist er der forsche, der fordernde und Profit orientierte Mensch, der sogar schon mal über einen vorzeitigen Abschied nachdenkt; dann ist er wieder der von Selbstzweifeln gepeinigte, lammfromme Musterprofi, der sich in seinen Äußerungen gern einmal zu großen Gefühlsausbrüchen hinreißen lässt. Dabei scheint es manchmal so, als setze er seine Emotionen wahlos ein. Wie sonst ist es zu erklären, dass er von der Liebe zu Werder und der Stadt Bremen spricht - und dann doch einen millionenschweren Vertrag in Gelsenkirchen unterschreibt? Wie sonst ist es zu erklären, dass Ailton einerseits von Vaterlandsliebe redet, sich dabei nichts sehnlicher wünscht, als für Brasilien in der Nationalmannschaft zu spielen; um sich dann fast im selben Atemzug dem Wüstenstaat Katar verkaufen zu wollen - für viele Millionen Dollar? Die Antwort darauf weiß nur Ailton selbst. Eines jedoch glaubt man Ailton: Er ist vom Erfolg besessen. Er will in diesem Jahr Titel und Triumphe einfahren. Los geht der Bundesliga-Endspurt am Sonntag gegen Freiburg - zum viertletzten Mal in seinem Zuhause, dem Weserstadion. Und dort zeigt er gewöhnlich seine wahren Gefühle. |